In Lyotards Libidinöser Ökonomie taucht der Tristram Shandy zweimal auf, wobei Lyotard dabei zweimal in denselben Fluss zu steigen scheint, den es nicht gibt:
“Man kann also zweimal und sogar unzählige Male im selben Fluß baden, wenn nur sein Gefälle, seine Ufer, sein Verlauf, seine Wassermenge ausgemacht werden wie das jeder vernünftige, unterscheidungsfähige Geist-Körper tut; aber man badet niemals im selben Fluß, ganz einfach weil es keinen Fluß gibt, das jedenfalls sagt der verrückte Liebhaber von Singularitäten (ob er nun Proust, Sterne oder Joyce heißt), verrückt, weil er entschlossen ist, für jede Intensität einen eigenen Namen, einen göttlichen Namen zu fordern, also mit jeder von ihnen zu sterben, vielleicht sogar sein Gedächtnis (es heißt Bett und Verlauf des Flusses) und ganz sicher seine eigene Identität zu verlieren.” – Libidinöse Ökonomie, S. 36
An der zweiten Stelle wirft Lyotard dem “Kapital” von Marx (den er an anderer Stelle auch als das Mädchen “die kleine Marx” bezeichnet) einen “Rückstand” vor, der das Werk “mit dem Vorgang vergleicht, den Sterne zum Motiv des Tristram Shandy macht. In beiden Fällen geht es um folgende Konstellation: um einen (erzählerischen oder theoretischen) Diskurs zu entwerfen, der eine neue, unbekannte Organisation von Raum und Zeit impliziert, benutzt der Schriftsteller (Erzähler, Theoretiker) Zeit und Raum. Bei Sterne wirkt sich dieser Gebrauch (oder dieser Verschleiß) auf die Erzählung selbst aus und verschlingt sie: Der Platz und die Zeitdauer, die durch den Vorgang des Erzählens in Anspruch genommen werden, besetzen nach und nach die Zeit und den Raum, die der Erzählung der Geschichte vorbehalten waren, und machen diese unmöglich oder verwandeln sie zumindest in einen Bericht über diese Invasion und Unmöglichkeit. Bei Marx schlägt sich die Einwirkung des Ausarbeitens auf den Zeit-Raum des Diskurses nicht ausdrücklich in diesem Diskurs nieder (…), führt nicht zu dem verzweifelten Humor von Sterne und zu einem Stil. Bei Marx bleibt der Ausdruck dieser Verzweiflung verdrängt, versteckt und eingekeilt zwischen seiner Aktivität als Produzent von endgültigen, apodikitischen Aussagen und den noch nicht einmal assertorischen Aussagen, die er in einem anderen Text veröffentlicht, in dem der vertraulichen Mitteilung, der Briefe, der aufgegebenen oder zurückgezogenen Manuskripte, Lektürenotizen und Entwürfe. Aber wie auch immer, diese Verzweiflung verursacht den theoretischen Aufschub, sie führt zur Leere des: Wartet doch ab, bis ich fertig bin.” (S.125 f.)