Weite Teile der Neuen Musik und der neueren Poesie erscheinen gegenwärtig wie in Reservaten zu entstehen, auf eng umgrenztem, von Festivals und Stipendien geschütztem Gebiet. Die spürbaren Folgen dieser Produktionsbedingungen: eine latente gesellschaftliche Dissoziation, die Tendenz zur Monokultur und das fortgesetzte Nachzirkeln der Fachbereiche.
Dabei gehen viele zeitgenössische Komponisten schon lange der sprachlichen Verfasstheit musikalischer Prozesse nach. Und für viele Autoren ist die musikalische Struktur sprachlicher Vorgänge das zentrale Element ihrer Arbeit. Dennoch werden die Verfahren des jeweils anderen Reservats in nur sehr beschränktem Maß wahrgenommen. Kaum kommt es zu gemeinsamen Arbeiten, die das klassische Modell der postumen Vertonung um womöglich neue Modelle der Sprachkomposition erweitern würden.
Die Liedertafel der Sing-Akademie zu Berlin lädt ein zu einem Ausbruch aus diesen Reservaten.
12 Autoren und Komponisten sind eingeladen zu wechselseitigen „variations sèrieuses“, zwischen Text und Ton. Ein Chor fragt sich gewaltig: wie bleiben wir jetzt ernst, wie singen wir jetzt weiter?
Als einer dieser “viele(n) zeitgenössische(n) Komponisten” wage ich die persönliche Variation, nicht “schon seit Jahren der sprachlichen Verfasstheit musikalischer Prozesse” nachzugehen (eine oft gehörte Behauptung, die letztendlich auf (ein) wenig tönernen Füßen steht), sondern vielmehr der musikalischen Verfaßtheit sprachlicher Prozesse (die sich durch aus manifest machen läßt).
So mögen sich aus Variations sérieuses mindestens ernsthafte und ernstgemeinte Variationen (ohne Fuge) über ein ernstes Thema,
seriöse und serielle Variationen variabler bis variierter Seriosität erstellen lassen, was bald zu Sensations vari-étés oder auch Sérisations varieuses führen mag.
Nichts gegen Mendelssohn, ganz im Gegenteil, mais ceci n’est pas un contemporain.