“Die Boîte-en-valises, in der Marcel Duchamps an den frühen 1940er Jahren in mehreren Serien seine Arbeiten aus dem Zeitraum von 1910 bis 1937 zusammenstellte und als Auslagenobjekt zum Kauf anbot, kann als “Symbol” und Ausgangspunkt des Shandyism in der historischen Avantgarde gelten – zumindest wenn man Enrique Vila-Matas folgt. In seinem Roman “Eine kurze Geschichte der tragbaren Literatur” – beschreibt der spanische Schriftsteller die Geschichte der Avantgarde als die einer Geheimgesellschaft mit dem Namen “Verschwörung Shandy”. Zu den “Shandys” genannten Mitgliedern dieser Geheimloge gehören neben Duchamps u.a. Walter Benjamin, Edgar Varèse, F. Scott Fitzgerald, André Breton, Francis Picabia, Georgia O’Keeffe und Pola Negri. Die Mitgliedschaft ist an mehrere Bedingungen geknüpft: Das Werk jedes Shandys muss wie im Vorbild von Duchamps Boîte in Miniaturform in einem Koffer transportiert werden können (…). Alle Shandys müssen Junggesellen sein, d.h. “célibataires” im Sinn einer nicht auf Reproduktion ausgerichteten Sexualität (…). Das komplette Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Kreis der Shandys – ein Begriff, mit dem gleichermaßen ein alkoholisches Getränk bezeichnet ist – lautet bei Vila-Matas wie folgt: Erneuergeist, extreme Sexualität, Fehlen großer Vorhaben, unermüdliches Nomadentum, intensives Zusammenleben mit dem Doppelgänger, (…) Kultivierung der Kunst der Unverschämtheit.”
André Rottmann: Marcel Duchamps “Shandyismus”.