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“als die radiosendung vorbei war, ging mir der klang der saxophonstelle durch den kopf, die mir helmut kurz vor der fahrt vorgespielt hatte. er denkt darüber, er hätte ein echtes missing link gefunden. es ist eine stelle von ein paar sekunden mitten in einer improvisation. man kann diese stelle unmöglich singen, denn sie besteht aus einem geräusch. das kann man beschreiben. ich für meinen teil kann nach bestimmten überlegungen beim radiohören sagen, dass ich mir in bezug auf das folgende nun sicher bin: DIE STELLE IN DEM ZIEMLICH UNBEKANNTEN SAXOPHONSTÜCK VERDANKT SICH EINEM ANGEÖDETSEIN DES SPIELERS IN ANBETRACHT SEINER FINGERFERTIGKEIT UND SEINER HARMONISCHEN VIRTUOSITÄT, DAS DURCH ENTSPRECHENDE DAUER UND DIE ERSCHÖPFUNG DER MELODISCHEN AUSDRUCKSMÖGLICHKEITEN UND WIEDERHOLUNGSFORMEN ENTSTANDEN IST. DIESES ANGEÖDETSEIN ZU ÜBERWINDEN DURCH EIN MUTWILLIGES ATTACKIEREN DES EIGENEN SPIELS IST MIR BI”

So endet der Text: Musical Behaviour von Michael Dreyer, in: Shandyismus. Autorschaft als Genre. Hg. Helmut Draxler. Katalog der Secession Wien. Kunsthaus Dresden. Merz Akademie Stuttgart, 2007.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ZIEH den Mondkork endlich aus der Nacht! . . . . . . . . . . .

Zieh den Mondkork endlich aus der Nacht!
Viel zu lange lebt der Geist im Glase
und das Elend bildet eine Blase,
wer hat uns diesen Krug gebracht?

Wem zum Heiltrunk sind wir angesetzt?
Wilde Kräuter, keines ganz geheuer,
soviel Gift verbraucht nur ein Bereuer –
Vater-unser, ich bin ganz entsetzt.

Bist du der, der solche Gärung braucht,
meinst du wirklich, dieser Trunk wird munden?
Du – ich fürchte – deine Leidensstunden
finden uns am Ende ausgeraucht.

Zieh den Mondkork früher aus der Nacht!
Vom Verlangen wird der Saft zu bitter.
Ach! – nur Sprünge hat jetzt das Gewitter
in die Wölbung unsres Krugs gebracht.

Gelbe Sprünge, die von oben sich
rasch verschließen. – Stieg in deine Nase
eine Ahnung von der Pest im Glase?
Gelt, du fürchtest – wir vergiften dich!

C. Lavant: Spindel im Mond.

Longing in the late Afternoon

“Many of the rainforest species whose songs evoke longing begin to call in the late afternoon, as the sun gets lower and the time of its disappearance nears. The approaching sunset itself evokes a sense of impending loss. The solo instruments are played in the late afternoon when the day’s work tapers, while sitting or lying on one’s mat and thinking, perhaps, of a loved one gone away. Playing a flute, bamboo-tube zither, or mouthharp at that hour allows one to cedu henum, ‘to clear the breath of the heart of remembrance’, ‘to free one’s feelings’.      The flute, in addition to being an instrument of ‘clearing’ or ‘freeing’ the longings of the late afternoon, is also an instrument os courtship and seduction.”

Verschwörung Shandy

“Die Boîte-en-valises, in der Marcel Duchamps an den frühen 1940er Jahren in mehreren Serien seine Arbeiten aus dem Zeitraum von 1910 bis 1937 zusammenstellte und als Auslagenobjekt zum Kauf anbot, kann als “Symbol” und Ausgangspunkt des Shandyism in der historischen Avantgarde gelten – zumindest wenn man Enrique Vila-Matas folgt. In seinem Roman “Eine kurze Geschichte der tragbaren Literatur” – beschreibt der spanische Schriftsteller die Geschichte der Avantgarde als die einer Geheimgesellschaft mit dem Namen “Verschwörung Shandy”. Zu den “Shandys” genannten Mitgliedern dieser Geheimloge gehören neben Duchamps u.a. Walter Benjamin, Edgar Varèse, F. Scott Fitzgerald, André Breton, Francis Picabia, Georgia O’Keeffe und Pola Negri. Die Mitgliedschaft ist an mehrere Bedingungen geknüpft: Das Werk jedes Shandys muss wie im Vorbild von Duchamps Boîte in Miniaturform in einem Koffer transportiert werden können (…). Alle Shandys müssen Junggesellen sein, d.h. “célibataires” im Sinn einer nicht auf Reproduktion ausgerichteten Sexualität (…). Das komplette Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Kreis der Shandys – ein Begriff, mit dem gleichermaßen ein alkoholisches Getränk bezeichnet ist – lautet bei Vila-Matas wie folgt: Erneuergeist, extreme Sexualität, Fehlen großer Vorhaben, unermüdliches Nomadentum, intensives Zusammenleben mit dem Doppelgänger, (…) Kultivierung der Kunst der Unverschämtheit.”

André Rottmann: Marcel Duchamps “Shandyismus”.

Hegel ist dagegen

“Den vernünftigen Lauf der Sache stets zu unterbrechen, willkürlich anzufangen, fortzugehen, zu enden, eine Reihe von Witzen und Empfindungen bunt durcheinanderzuwürfeln und dadurch Karikaturen der Phantasie zu erzeugen, ist leichter, als ein in sich gediegenes Ganzes im Zeugnis des wahren Ideals aus sich zu entwickeln und abzurunden.”

G.W.F. Hegel: Ästhetik, a.a.O., S. 303

Ists denn so schwer, auf den Schoos-Autor aufzumerken?

“Wie komts daß ich, der ich STERNE mit allen Rücksichten auf jedes Wort – und noch dazu mit allen Wünschen, ein neues zu finden – [lese,] dieses überfliege und erst später finde, daß ichs überflogen? – Ists denn so schwer, auf den Schoos-Autor aufzumerken? – Freilich könt ich das nicht nachher bemerken, wenn ich nicht früher bemerkt hätte, daß ich überflogen, so daß ich also das letztemal nicht überflogen. Aber die Sache ist, daß man eben nur bei Schoos-, Knie-, Herz-Autoren weis, daß man nicht alles recht gelesen.”

Jean Paul: Ideen-Gewimmel. Texte und Aufzeichnungen aus dem unveröffentlichten Nachlass.

.. he does not guide us at all ..

“The comic novellist does not fulfill the basic requirement of a good realistic novel. He does not firmly guide us from the beginning to the end. He does not guide us at all, and he certainly does not guide us in one or the other direction. We must guide ourselves if we want to start somewhere and arrive at some point. Self-guidance does not orient us within the plot, but rather in our interpretation. The comic novelist, instead of guiding readers, keeps us constantly in a state of postponement. He keeps us from arriving, not at the point, since there is not one, but at a final interpretation. Through his tactics – of hesitation, repetition, playing hide and seek – the comic novel becomes what it is: an encyclopedia of all comic phenomena.”

Agnes Heller: The Comic Novel, in IMMORTAL COMEDY. THe Comic Phenomenon in Art, Literature, And Life. Oxford 2005. Seite 76.