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“als die radiosendung vorbei war, ging mir der klang der saxophonstelle durch den kopf, die mir helmut kurz vor der fahrt vorgespielt hatte. er denkt darüber, er hätte ein echtes missing link gefunden. es ist eine stelle von ein paar sekunden mitten in einer improvisation. man kann diese stelle unmöglich singen, denn sie besteht aus einem geräusch. das kann man beschreiben. ich für meinen teil kann nach bestimmten überlegungen beim radiohören sagen, dass ich mir in bezug auf das folgende nun sicher bin: DIE STELLE IN DEM ZIEMLICH UNBEKANNTEN SAXOPHONSTÜCK VERDANKT SICH EINEM ANGEÖDETSEIN DES SPIELERS IN ANBETRACHT SEINER FINGERFERTIGKEIT UND SEINER HARMONISCHEN VIRTUOSITÄT, DAS DURCH ENTSPRECHENDE DAUER UND DIE ERSCHÖPFUNG DER MELODISCHEN AUSDRUCKSMÖGLICHKEITEN UND WIEDERHOLUNGSFORMEN ENTSTANDEN IST. DIESES ANGEÖDETSEIN ZU ÜBERWINDEN DURCH EIN MUTWILLIGES ATTACKIEREN DES EIGENEN SPIELS IST MIR BI”

So endet der Text: Musical Behaviour von Michael Dreyer, in: Shandyismus. Autorschaft als Genre. Hg. Helmut Draxler. Katalog der Secession Wien. Kunsthaus Dresden. Merz Akademie Stuttgart, 2007.

Verschwörung Shandy

“Die Boîte-en-valises, in der Marcel Duchamps an den frühen 1940er Jahren in mehreren Serien seine Arbeiten aus dem Zeitraum von 1910 bis 1937 zusammenstellte und als Auslagenobjekt zum Kauf anbot, kann als “Symbol” und Ausgangspunkt des Shandyism in der historischen Avantgarde gelten – zumindest wenn man Enrique Vila-Matas folgt. In seinem Roman “Eine kurze Geschichte der tragbaren Literatur” – beschreibt der spanische Schriftsteller die Geschichte der Avantgarde als die einer Geheimgesellschaft mit dem Namen “Verschwörung Shandy”. Zu den “Shandys” genannten Mitgliedern dieser Geheimloge gehören neben Duchamps u.a. Walter Benjamin, Edgar Varèse, F. Scott Fitzgerald, André Breton, Francis Picabia, Georgia O’Keeffe und Pola Negri. Die Mitgliedschaft ist an mehrere Bedingungen geknüpft: Das Werk jedes Shandys muss wie im Vorbild von Duchamps Boîte in Miniaturform in einem Koffer transportiert werden können (…). Alle Shandys müssen Junggesellen sein, d.h. “célibataires” im Sinn einer nicht auf Reproduktion ausgerichteten Sexualität (…). Das komplette Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Kreis der Shandys – ein Begriff, mit dem gleichermaßen ein alkoholisches Getränk bezeichnet ist – lautet bei Vila-Matas wie folgt: Erneuergeist, extreme Sexualität, Fehlen großer Vorhaben, unermüdliches Nomadentum, intensives Zusammenleben mit dem Doppelgänger, (…) Kultivierung der Kunst der Unverschämtheit.”

André Rottmann: Marcel Duchamps “Shandyismus”.

Hegel ist dagegen

“Den vernünftigen Lauf der Sache stets zu unterbrechen, willkürlich anzufangen, fortzugehen, zu enden, eine Reihe von Witzen und Empfindungen bunt durcheinanderzuwürfeln und dadurch Karikaturen der Phantasie zu erzeugen, ist leichter, als ein in sich gediegenes Ganzes im Zeugnis des wahren Ideals aus sich zu entwickeln und abzurunden.”

G.W.F. Hegel: Ästhetik, a.a.O., S. 303

Äääääähhh! Also hier ein Unerreichbare-Nase-Kanon!

Die Nasensänger sind herzlich willkommen, die Partitur undoder die Stimmen runter zu laden:

https://dl.dropboxusercontent.com/u/8465961/Jerunda%20Partitur.pdf

https://dl.dropboxusercontent.com/u/8465961/Jerunda%20Alt.pdf

https://dl.dropboxusercontent.com/u/8465961/Jerunda%20Bass.pdf

https://dl.dropboxusercontent.com/u/8465961/Jerunda%20Sopran.pdf

https://dl.dropboxusercontent.com/u/8465961/Jerunda%20Tenor.pdf

Hatschi!!

Katia Tchemberdji

Ists denn so schwer, auf den Schoos-Autor aufzumerken?

“Wie komts daß ich, der ich STERNE mit allen Rücksichten auf jedes Wort – und noch dazu mit allen Wünschen, ein neues zu finden – [lese,] dieses überfliege und erst später finde, daß ichs überflogen? – Ists denn so schwer, auf den Schoos-Autor aufzumerken? – Freilich könt ich das nicht nachher bemerken, wenn ich nicht früher bemerkt hätte, daß ich überflogen, so daß ich also das letztemal nicht überflogen. Aber die Sache ist, daß man eben nur bei Schoos-, Knie-, Herz-Autoren weis, daß man nicht alles recht gelesen.”

Jean Paul: Ideen-Gewimmel. Texte und Aufzeichnungen aus dem unveröffentlichten Nachlass.

.. he does not guide us at all ..

“The comic novellist does not fulfill the basic requirement of a good realistic novel. He does not firmly guide us from the beginning to the end. He does not guide us at all, and he certainly does not guide us in one or the other direction. We must guide ourselves if we want to start somewhere and arrive at some point. Self-guidance does not orient us within the plot, but rather in our interpretation. The comic novelist, instead of guiding readers, keeps us constantly in a state of postponement. He keeps us from arriving, not at the point, since there is not one, but at a final interpretation. Through his tactics – of hesitation, repetition, playing hide and seek – the comic novel becomes what it is: an encyclopedia of all comic phenomena.”

Agnes Heller: The Comic Novel, in IMMORTAL COMEDY. THe Comic Phenomenon in Art, Literature, And Life. Oxford 2005. Seite 76.

.. .. what is to start .. ..

Anfang, Mitte und Ende

So beginnt das Gedicht AS MANY QUESTIONS AS ANSWERS von Laura (Riding) Jackson:

WHAT IS TO START?
IT IS TO HAVE FEET TO START WITH.
WHAT IS TO END?
IT IS TO HAVE NOTHING TO START AGAIN WITH,
AND NOT TO WISH. (..)

“Je mehr Anfänge eine solche Geschichte besitzt, desto deutlicher erweisen sich diese als retrospektive Besetzungen dessen, was man für den Anfang hält. Um das hervorzutreiben, muss die gleiche Geschichte verschiedene Anfänge haben, die sich gerade angesichts dieser Verschiedenheit als das immer Gleiche enthüllen: interessen- oder zweckgesteuerte Setzung zu sein. Geben sich die vermeintlichen Anfänge als solche zu erkennen, dann verwandeln sie sich in ein Zeichen dafür, dass Anfänge nicht besetzbar sind, weshalb solche Setzungen nur dazu dienen, die ständige Verschiebung des Anfangs zu markieren. Diese Tendenz durchzieht die Geschichte Tristrams, ohne bereits deren beherrschender Aspekt zu sein.” Schreibt Wolfgang Iser, in “Laurence Sternes >>Tristram Shandy<<“.

KURT SCHWITTERS SCHREIBT: Das Ende ist der Anfang jeden Endes. UND ANDERNORTS: Der Anfang ist das Ende jeden Anfangs.

TRISTRAMPEDIA 2!

 

floh

 

TRISTRAMPEDIA II

20.30 Uhr: FOLLOWING YOUR OWN NOSE – Catches & Canon-Singen. Mit Nasentanz.
Villa Elisabeth, Invalidenstraße 3, B.

22 Uhr: DIE AUDITIVE TEXTBESTIE – Der Gefangene Floh
AckerStadtPalast, Ackerstraße 169/170, B.

 

Worum geht es diesmal bei der Liedertafel? Alle scheinen mit allen Projekten gerade schwer im Stress (Kompositionsaufträge, perplexe Lebens- und Liebesentwürfe, Fahrprüfungen). Darum kommt uns diesmal im ersten Teil das besänftigende Catch-Singen und Nasentanzen, im zweiten Teil die auditive Textbestie zu Hilfe. Womöglich wird Florian Neuner eine Shandy-Tirade wagen. Digressionen. Gewiss wird Bernd Schurer, Komponist elektro-akustischer und computergestützter Musik, zu Gast sein. Vielleicht bringt er Teile eines komplett verspiegelten Umspannwerks mit, in dem ein Floh sich falsch erinnert. Er lässt wissen: “Aus dem Feld ergeben sich schon viele Linien. Weniger eine Auflösung, mehr ein Challenge.” Konzepte liegen lassen. Murmeln, essen, trinken, Shandies singen.

 

fluz

 

NACHTRAG: Eine behelfsmäßige Audio-Dokumentation des ersten Teils (anti-depressives Catch-Singen und die Choreographie der Nase, durchbrochen von stationären Ausrufen, am Klavier sowie auch innerlich begleitet) fanden Sie hier (76 MB). Inzwischen meinen wir, dass die hohe Dateigröße in keinster Weise der niedrigen Tonqualität entspricht und haben unseren Server entlastet.

ZUDEM konnten Sie hier, in bedauerlicherweise ebenso dürftiger Aufnahmequalität wie oben, die Uraufführung des Lilliburlero (Purcell) für sehr viele Blockflöten durch das BLOCKFLÖTEN-ENSEMBLE VORGEBIRGE DER NASEN (in Gründung) hören. Patience!

Wir streben einer Wiederholung der Aufnahme in hörbar besserer Qualität an.

. . . wagen sie e m p f i n d s a m ! . . .

EMPFINDSAM, mollis, facile molliores sensus concipiens, zum erstenmal gebraucht von BODE, der in der vorrede zu Yoricks empfindsamer reise (1768) erzählt, dasz LESSING es ihm als übersetzung von sentimental empfohlen habe.

LESSINGS eigne worte ebendaselbst lauten:  ‘es kömmt darauf an, wort durch wort zu übersetzen, nicht eines durch mehrere zu umschreiben. bemerken sie sodann dasz sentimental ein neues wort ist. war es Sterne erlaubt sich ein neues wort zu bilden, so musz es eben darum auch seinem übersetzer erlaubt sein. die Engländer hatten gar kein adjectivum von sentiment, wir haben von empfindung mehr als eines, empfindlich, empfindbar, empfindungsreich, aber diese sagen alle etwas anders. wagen sie  e m p f i n d s a m ! wenn eine mühsame reise eine reise heiszt, bei der viel mühe ist, so kann ja auch eine empfindsame reise eine reise heiszen, bei der viel empfindung war, ich will nicht sagen, dasz sie die analogie ganz auf ihrer seite haben dürften. aber was die leser vors erste bei dem worte noch nicht denken, mögen sie sich nach und nach dabei zu denken gewöhnen’.

die Franzosen haben sentimental aus dem engl. übernommen, nnl. sagt man sentimenteel, schw. känslosam, isl. tilfinningasamr, beides nach unserm empfindsam, das sich schnell einführte und von ADELUNG  (1774) aufgenommen wurde: edle handlungen, mit welchen unsere empfindsamen schriften so viel um sich werfen.

Aus dem Grimmschen Wörterbuch.

 

ps:  der persiflierende kältling trägt nur den umgekehrten mangel des empfindseligen zur schau. (JEAN PAUL)