NIHILUM ALBUM

23. NOVEMBER 2010, 21 Uhr
Villa Elisabeth, Invalidenstr.3, Berlin

Liedertafel mit Oswald Egger (Dichter), Harald Muenz (Komponist)
Barbara Kind, Judith Kamphues, Volker Nietzke, Martin Schubach (Vokalquartett)

Der Dichter Oswald Egger liest aus seinem Nihilum album: 3650 Nichtstandard-Liedern, “die von dort, woher die Kinder kommen, ins Diesseits kassibern: Zinkblumen (nihilum album) aus Erde und Rede, Priameln und Schnaderhüpferln”.

Zur Werkstatt-Aufführung kommt das Chorstück „bum al lumhini“ (2010) per quattro voci:

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Und dann denken die Dichter, Sänger und Gäste der Liedertafel bei Wein und Käse über das Egger‘sche Lied-Wesen nach:

“Singen, tönern
ist es gut,
Pfoten-Mond
lebendere Blitze.”

*

Konfigurationsgedicht “Ich und Achilles” (Zur Quelle):

STEINBACHER / HERNDLER

21. September 2010, 21 Uhr
Villa Elisabeth, Invalidenstraße 3, 10115 Berlin
Eintritt frei

DER WANDEL MOTZT
Ein Abend mit Christian Steinbacher (Dichter), Christoph Herndler (Komponist),
Claudia Herr, Jens Holger Hopp und Nathalie Siebert (Vocal Performer)

Dass der Wandel selbst es ist, der „motzt“, sprich: aufbegehrt, liegt in der Natur eines Be-Schreitens.

Unter dem Titel „der wandel motzt“ bieten Christian Steinbacher und Christoph Herndler, beide in Oberösterreich lebend, Einblick in ihre Arbeit.  Zu erwarten ist ein in sich ineinander fließender Auftritt, Rundlauf aus Lesung und Stimmentrio, teils gesungen, teils gesprochen durch irgend so ein Ding, wo man brisante Sprüche bei Veranstaltungen in die Menge mit spricht. Steinbacher steht mitten in der Welt und jongliert, seine Gedichte lesend, mit Partikelchen. Christoph Herndler bringt mit VokalistInnen der Liedertafel sein Sprech-Extrakt aus SUBJEKT/OBJEKT zur Aufführung.

Zum besseren Verständnis der Aktionen wird Besuchern empfohlen, im Vorfeld diese Verse auswendig zu lernen: Der Riss bestach wie jeder Riss,/Synthetik heißt die Zeitdevise,/ein jeder Bruch wird eingebunden und/so hebt er ab/aber der Wipfel da tropft noch/in den Scharen von Soßen.

Christoph Herndler, geboren 1964, lebt in Gaspoltshofen (Oberösterreich). Er studierte Orgel, Elektroakustik und Komposition (bei Haubenstock-Ramati) in Wien und Kalifornien. 1997 gründete er das Ensemle EIS. Seine Schwerpunkte liegen in der grafischen und intermedialen Partitur. Im Mittelpunkt seiner Arbeiten steht für Herndler die Frage der Notation: Florian Neuner betont, dass der Komponist dabei (im Sinne einer Enthierarchisierung der Rollen) von keiner konkreten Klangvorstellung ausgeht, aber die Voraussetzung dafür schafft, dass die unterschiedlichsten Klänge sich ereignen können.

Christian Steinbacher, geboren 1960, lebt als Autor, Herausgeber und Kurator (u. a. des Festivals „Für die Beweglichkeit“) in Linz. Buchpublikationen seit 1988, zuletzt u. a. „Zwirbeln, was es hält. Gedichte“, 1996. (Werkauflistung siehe auf Christiane Zintzens in /ad/ae/qu/at = www.zintzen.org) Zu Steinbachers letztem Gedichtband hob Paul Jandl in der NZZ ein von einer vitalen Kraft durchpulstes, physisches Eigenleben der Worte und deren kunstvolles Oszillieren hervor.

ZUR GEWOGENEN BEACHTUNG:

Gegen 20 Uhr beginnt die Einübung – Schreiten mit Herndler. Sänger, Schauspieler, Performer, Dichter, Komponisten und alle, die sich nicht scheuen, sind zur Partizipation gebeten.
Gegen 22.15 Uhr folgen dann die nächtlichen Fragen (Trinken mit Steinbacher?) von womöglich hoher lebenspraktischer, aber auch poetologischer und kompositionstechnischer Relevanz für unser aller und Ihr eigenes Leben.

musik

1

musik mit einer flasche und einem
schuh, saure rosen und staub aus der
achsel, eine akzeptierte lampe, kein
nebel aus brillen, und die runde
trophäe beim einstich in die hand

2

musik ist grün und was versteht man
darunter, was versteht man darüber und
was steht daneben, ein losgerissener rand,
ein abgefeiltes profil, zusammengeleimte
ratten, ein frosch als nadelkissen.

3

musik ist grün ist ein satz mit musik der
weniger allgemein akzeptiert werden wird
als zum beispiel der satz: musik ist
gründlich, der von vielen ohne weiteres
akzeptiert werden wird, die es nicht ohne
weiteres akzeptieren werden, dass musik
aus zusammengeleimten ratten besteht.
.
.
Ernst Jandl, aus: die bearbeitung der mütze. (9 . 74)

RATSCHLAG, DIE KIEFERN BETREFFEND

“Ein eintöniges Geräusch muss nicht unbedingt beruhigen. Eine Bohrmaschine beruhigt niemanden, außer vielleicht den Werkmeister. Dennoch sind es die monotonen Geräusche, in denen man noch am ehesten Ruhe finden kann.
Das Angenehme am Geräusch des Windes, der über einen Kiefernwald streicht, ist, dass dieses Rauschen keine Kante hat, es ist ganz rund. Aber es hat nichts Meergrünes an sich. (Oder besänftigt es vielleicht, weil es uns dazu verleitet, uns ein bedeutendes und sanftmütiges Wesen vorzustellen, das außerstande ist, völlig außer Rand und Band zu geraten?)
Allerdings sollte man nicht allzusehr auf die Spitzen der Kiefern schauen, wenn sie von starkem Wind gerüttelt werden. Denn wenn man sich vielleicht vorstellte, auf ihrem Wipfel zu sitzen, in einem solchen Schwanken, könnte man sich, und viel natürlicher, als wenn man sich auf einer Schaukel oder im Fahrstuhl befände, davongetragen fühlen, aufgrund dieser bizarren und prächtigen Bewegung dort oben, sich davongetragen fühlen und, obgleich man sich zwingt, nicht daran zu denken, ganz gewiss weit davon entfernt, über dieses Schwanken meditieren zu wollen, ist man ohne Unterlass damit beschäftigt, fühlt man sich noch immer im schwankenden Wipfel einer Kiefer, kann man nicht wieder hinabsteigen zur Erde.”

Henri Michaux, übersetzt von Ralf Pannowitsch

.. stimmen ohne stimme ..

“Es waren diese verführerischen Stimmen ohne Stimme, köstliches Säuseln, das bezaubert, bannt, die diejenigen bis zum Sterben verführten, die, unbefriedigt und doch in gewisser Hinsicht mit sich im Reinen, für dieses Abenteuer die rechte Seele hatten. Ich war verwirrt, meine Gefühle waren mehrfach geteilt. Und sie glitten weiter vorbei … und ich ließ sie vorbei. Was anderes tun? Manchmal wurde eine rauschende Wasserrakete über einem leichten Hindernis auf ganz natürliche Weise vage, perlmuttene Form, Phantom, das sich behende umdrehen würde, um mir, schon etwas bedeutsamer, sein leichtes f-ft, sein feuchtes Komm, komm zuzuwerfen, zwischen zahlreichen kleineren Rufen, halb resigniert, die nach allen Seiten sprühten. Endlich verließ ich die Stätte. Ich fragte mich: Wenn von weitem irgendein Schweizer mich beobachtet, zu dieser späten Stunde, was wird er denken?”

Henri Michaux, übersetzt von Helgard Rost

.. fallen und klettern ..

“Die musikalische Erregung kommt gerade daher, dass der Komponist in jedem Augenblick mehr oder weniger wegnimmt oder hinzufügt, als der Zuhörer erwartet, im Glauben an einen Plan, den er zu erraten meint, den er aber nicht zu durchschauen vermag aufgrund seiner Gebundenheit an eine doppelte Periodizität: an die seines Brustkorbes, die von seiner individuellen Natur, und die der Tonleiter, die von seiner Erziehung abhängt. Nimmt der Komponist mehr hinweg, so empfinden wir ein wunderbares Gefühl des Fallens; wir fühlen uns von einem festen Punkt des Tonsystems weggerissen und ins Leere geschleudert, aber nur deshalb, weil sich die Stütze, die uns geboten wurde, nicht an der erwarteten Stelle befand. Und nimmt der Komponist weniger hinweg, so tritt das Gegenteil ein: er zwingt uns zu einer kunstvolleren Gymnastik, als wir beherrschen. Bald sind wir bewegt, bald gezwungen, uns zu bewegen, und immer jenseits dessen, was wir, allein, zu leisten uns fähig glaubten. Das ästhetische Vergnügen besteht aus dieser Vielfalt von Erregungen und Aufschüben, von enttäuschten und belohnten Erwartungen, und jenseits der Erwartung, – ein Resultat der von dem Werk gestützten Herausforderung; und es besteht aus dem widersprüchlichen Gefühl, das sie einflößt, dass die Prüfungen, denen sie uns unterzieht, unüberwindbar sind, während sie uns gleichzeitig die wunderbar überraschenden Mittel bereitstellt, sie zu besiegen.”

Claude Lévi-Strauss: Ouverture, in Das Rohe und das Gekochte, Mythologica I
Übersetzt von E. Moldenhauer